Sprachbarrieren

7.5 Millionen Menschen haben Probleme, sich in unserem Schrift-geprägten Alltag zurechtzufinden. Wir installierten 2 Meter hohe Wort-Barrieren in Krefelds Innenstadt, um die Barrieren, auf die diese Menschen stoßen, sicht- und erfahrbar zu machen. Und um damit eine Diskussion über Sprache in Deutschland anzuregen.

2011 wurde durch die leo.–Level-one Studie der Universität Hamburg bekannt, wie viele Menschen in unserem Schrift-geprägten Alltag Probleme haben, sich zurecht zu finden. Für die Barrieren nicht aus physischen Objekten wie zum Beispiel Treppen bestehen, sondern die Benachteiligung durch Sprache erfahren. Ein Handicap, was nicht auf den ersten Blick sichtbar ist und das von einem so hoch entwickelten Land wie Deutschland lange nicht wahrgenommen oder beachtet wurde. Ein Handicap von dem aber 7.5 Millionen Menschen – sogenannte Funktionale Analphabeten – in Deutschland betroffen sind.

Gleichzeitig hat sich Deutschland in den letzten Jahrzehnten durch Migrationsprozesse zu einem Land entwickelt, das von einer großen Sprachenvielfalt geprägt ist. Etwa 50 Migrantensprachen werden in Deutschland gesprochen. Die verbreitete Annahme ist jedoch weiterhin, dass Staaten „normalerweise“ einsprachig sind. Außer dem Deutschen sind lediglich Sprachen anerkannt, die in der  Schule gelehrt werden und damit einen Bildungswert aufweisen. Das bringt Migrantinnen und Migranten in die schwierige Situation, dass ihre Mehrsprachigkeit meist nicht positiv anerkannt ist. Die zunehmende Mobilität von Menschen lässt diese „Normalitätsannahme“ jedoch fragwürdig erscheinen.

Fest steht, dass ein zu großer Anteil unserer Gesellschaft kein ausreichendes Maß an Literalität entwickelt, um an allen gesellschaftlichen Prozessen teilhaben zu können. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sind darunter überproportional häufig Menschen, die zweisprachig mit Deutsch aufwachsen. Bildungsprobleme von Migranten spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle. 14% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund verlassen die Schule ohne Schulabschluss, im Vergleich zu 3,9% der Gesamtbevölkerung. Bei Ausländern beträgt der Wert sogar 21% und bei türkischen Migranten 31%.

Das Projekt Sprachbarrieren möchte eine Diskussion über Sprache in Deutschland anregen. Dazu wurde eine Installation konzipiert, die im September 2012 in Krefelds Innenstadt zu erleben war.

Umgesetzt wurde eine typografische Installation bestehend aus 5 Wörtern, je zwei Meter hoch. Entstanden ist das Wort „Ich“ auf türkisch „ben“, polnisch „ja“, italienisch „io“, griechisch „ego“ und niederländisch „ik“. Die Muttersprachen jener Ausländerinnen und Ausländer, die statistisch die größten Bevölkerungsgruppen in Krefeld darstellen. Die Präsenz der 3-dimensionalen typografischen Objekte im Raum störte die übliche Wahrnehmung und forderte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.

Das Wort „Ich“ symbolisiert zweierlei: die Subjektivität von Sprache und ihre ganz individuelle Verwendung sowie den individuellen Menschen, mit seiner Migrations- und Spracherwerbsgeschichte. Es soll deutlich werden, dass keinesfalls eine Diskussion über „die Migranten“ geführt werden darf, sondern dass sich dahinter Menschen mit den verschiedensten Geschichten und Bedürfnissen verbergen. Aufgegriffen wird dieser Gedanke in großflächigen Zitaten von Menschen mit Migrationshintergrund, die auf die Worte aufgemalt sind.

Ergänzt wird das Zitat durch einzelne Sätze, die auf den Wörtern verteilt sind und Informationen zum Thema Sprache, Migration, Bildung und Partizipation vermitteln. Die Informationen sind weitestgehend in einfacher Sprache formuliert.

Gefördert wurde das Projekt von „Wissenschaft im Dialog“ und dem „Bundesministerium für Bildung und Forschung“.

Jahr 2013

Projektart